Bücher bedeuteten im Mittelalter Reichtum. Das Lesen und Schreiben war vor allem der Kirche, den Mönchen und den ganz Reichen vorbehalten. Bücher wurden durch Abschreiben vervielfältigt. Am Bodensee gab es zwei Orte mit einem besonderen Bücherreichtum: Das Kloster auf der Insel Reichenau und die Stiftsbibliothek St. Gallen.
In den großen Saal der Bibliothek St. Gallen geht es nur mit Filzpantoffeln – damit das Parket geschont wird. Es erinnert etwas an die Novelle “Fräulein Stark” von Thomas Hürlimann (das Buch gibt es hier auch zu kaufen). In der Novelle erzählt Hürlimann von einem 13jähren Jungen, Neffe des damaligen Bibliothekar der Stiftsbibliothek, der in den Sommerferien als Ferienjob den Besuchern die Filzpantoffeln reicht. Dabei versucht er bei den Damen immer wieder einen Blick unter den Rock zu werfen. Heute hilft niemand mehr in die Pantoffeln.
Beim Eintritt in den Saal ist das Auge überwältigt. Die prunkvolle Ausschmückung des Saals im Stil des Barock konkurriert fast mit der Anzahl der Bücher. Jeder noch so kleine Raum scheint genützt worden zu sein, um Bücher fein säuberlich sortiert zu verstauen. Um den Heiligen Gallus versammelten sich schon zu desen Lebzeiten die Schüler. Auch nach seinem Tod um 650 lebte die Gemeinschaft weiter. Der Alemanne Ottmar von St. Gallen übernahm 719 die Gemeinschaft und baute sie zu einer benediktinischen Reichsabtei aus. Die Zahl der Handschriftene wuchs ständig. Durch den Ungarneinfall und einem daraus hervorgehenden Brand im Jahr 937 gingen etliche Handschriften verloren. Ganz schwere Verluste konnten verhindert werden, da durch Wilborada zahlreiche Handschriften vorher auf der Insel Reichenau in Sicherheit gebracht wurden.
Der heutige Bibliothekssaal entstand zwischen 1758 und 1767. Über dem mit Säulen flankierten Portal des Barocksaals findet sich die griechische Inschrift ΨYXHΣ IATPEION, was frei übersetzt «Heilstätte der Seele» oder «Seelen-Apotheke» heisst. Besonders wertvolle Handschriften sind das textgeschichtlich dem Original am nächsten stehende Exemplar der Benediktsregel, der St. Galler Klosterplan – der älteste erhaltene Bauplan Europas, zahlreiche künstlerisch bedeutende Handschriften wie der Folchart-Psalter und wichtige Handschriften zur Entwicklung der deutschen Sprache.
Der besonders schützenswerte Fussboden ist aus Tannenholz, in dem vier grosse Sterne und rankenartige Schlingungen in Nussbaumholz eingelassen sind. Der Stiftsbezirk St. Gallen wurde 1983 von der UNESCO in den Rang eines Weltkulturerbes erhoben.
Der Bodensee-Urlauber sollte dieses Kulturgut bei seinem Bodensee-Urlaub keinesfalls auslassen.
Weitere Infos: Internetseite der Siftsbibliothek